Im Alltag passieren so schöne Geschichten - erzählenswert und wunderbar - eben Alltagswunderbarkeiten - meine Lieblingsgeschichten erzähle ich hier in meinem Blog: 

11.07.2020

Ein Stück Kindheit

Ein Stück Kindheit hat mich eingeholt, mich völlig unerwartet im Turboschleuderrückwärtsgang abgeholt und mitten aus dem Alltag gerissen. Plötzlich war ich wieder ein kleines Mädchen und saß bei meinen Großeltern am Küchentisch.

Was mich dahin gebracht hat? Eine Nähmaschine und das Vorhaben ein Kissen zu nähen.  Ich habe den schweren Koffer auf meinen Küchentisch gehievt, Schnitt und Stoff lagen schon bereit, es konnte also losgehen. Der graue Koffer der Nähmaschine ist ein bisschen eingedellt, alt und abgeschrammt vom häufigen Gebrauch. Ich ließ die Schnappschlösser aufspringen, der Deckel klappte nach vorne weg und da stand sie: die Nähmaschine meiner Großmutter. Und plötzlich roch alles nach „Oma“. In meiner Küche verströmte sich ihr Geruch, ergoss sich aus dem Koffer als wäre er dort viele Jahre konserviert und aufbewahrt worden, genau für diesen Moment.

Alles war wieder da.  Der Küchentisch am Fenster mit Blick in den kleinen Garten, in dem der große Kirschbaum stand und unter dem wir unseren ersten Kanarienvogel „Exi“ feierlich beerdigt haben. An dem Tisch haben wir zu Weihnachten Kekse gebacken und Hexenhäuschen gebastelt. Dort hat mein Opa seinen Getreidekaffee getrunken und meine Oma ihr Brötchen mit körnigem Frischkäse und einem Kleks Marmelade gegessen. Der Tisch an dem ich saß, als ich auf einen Zettel mit krakeliger Kinderschrift schrieb „am liebsten würde ich nach Hause gehen, nicht mal Sesamstraße darf man sehen“. Was ich damals ausgefressen hatte, habe ich leider vergessen.

Es war auch ein Platz an dem mein Bruder und ich um unseren Vater geweint haben. An dem wir die Trauerkarten geschrieben haben, als mein Opa gestorben war. Es war ein Platz an dem wir Marmelade gekocht, Erbsen gepahlt und Bohne geputzt haben, die wir vorher im Kleingarten meiner Großeltern geerntet hatten. Wir haben dort gemalt und gehäkelt, Hausaufgaben gemacht, gelacht und miteinander gesprochen. Es war ein Platz für das ganz normale Leben in all seinen Facetten.

Den Tisch gibt es schon lange nicht mehr und in der Wohnung, in der meine Großeltern fast ihr ganzes Leben lang gewohnt haben, wohnt nun jemand anderes. Aber die Erinnerungen sind offenbar ganz tief abgespeichert und sofort abrufbar, manchmal nur, indem man einen Nähmaschinenkoffer öffnet und sich plötzlich bei Oma in der Küche wiederfindet. 

Heyka - 14:15:55 @ Alltagswunderbarkeiten | Kommentar hinzufügen

Kommentar hinzufügen

Die Felder Name und Kommentar sind Pflichtfelder.





 
 
 
E-Mail
Anruf